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2022

Ja, was glaubst du denn?

Schreibworkshops

Ja, was glaubst du denn?

Schreibworkshops

Das Projekt greift Erfahrungen aus dem Vorjahr zurück. Ausgehend von Anregungen, die von den Teilnehmenden und den Referenten gesetzt sind, werden Fragen der Alltagsphilosophie im Austausch vollzogen. Gerade der persönliche Zugang erweist sich als ein Fundus zu intensivem Dialog zwischen den Kulturen.

Eine Orientierung bieten die Grundfragen von Immanuel Kant wie: 

- Was ist der Mensch?
- Was soll ich tun?
- Was kann (soll) ich wissen?
- Was darf ich hoffen?

Damit begeben wir uns in dieser Workshop-Reihe auf einen spannenden und offenen Weg. Die Antworten berühmter Philosophen treten somit in den Hintergrund und werden höchstens als Impuls verwendet. Ein wesentlicher Aspekt der Workshops besteht darin, das Blickfeld zu erweitern und wegzulenken von einer rein eurozentrischen Denk- und Betrachtungstradition hin zu staunenden (philosophischen) Menschen, die die Grundfragen der menschlichen Existenz stellen. Das Projekt gründet auf einer fundamentalen Einflussnahme der Teilnehmenden auf Basis ihres jeweiligen generativen und kulturellen Erfahrungshorizonts und eröffnet Perspektiven der Offenheit im Umgang miteinander, Urteilsfähigkeit sowie die Erweiterung der Sprachkompetenz. Philosophische Fragen korrelieren mit dem Alltag und tragen somit zur Konfliktbewältigung bei.

Arbeitsergebnisse werden nach jeder Sitzung in Form von Fotoserien und Berichten dokumentiert. Diese Ergebnisse bieten den Fundus für eine Abschlussveranstaltung zum Jahresende, bei der die Kreationen der abgelaufenen Workshops einer breite n Öffentlichkeit vorgestellt werden. Ferner findet eine fortlaufende Online-Dokumentation auf BÜZ-Digital statt.

Der Projektleiter Volker Papke-Oldenburg ist ein erfahrener Philosoph. Er war über mehrere Jahre Moderator eines Philosophischen Cafés in Minden. Die Projektbetreuer können ebenfalls auf fundierte Erfahrungen zurückblicken.

Entsprechend der Kurskonzeption der interkulturellen Erfahrungs-, Betrachtungs- oder Wissensperspektive setzen wir an den einzelnen Kurstagen Referenten aus europäischem wie aus nicht-europäischem Kulturkontext ein.


Wo komme ich her, wo gehe ich hin? Orte in meinem Leben bestimmen meine Entwicklung, natürlich nicht nur. Aber es ist ein Unterschied, ob ich in einem Dorf, einer Großstadt, in Amerika oder in Indien aufwachse.

Es ist ein Unterschied, ob ich in beengten Wohnverhältnissen oder auf dem Lande groß werde.

Ziel ist es, einmal zu überblicken, welche Orte bin ich in meinem Leben durchlaufen und wie prägten sie mich. Ferner: Wie sollen meine nächsten Orte in meinem Leben aussehen, was sind meine Ziele?

Alternativ könnte man auch anders vorgehen:

Wie wäre es, wenn…

Ich geboren wurde als Sohn, Tochter von Platon, Napoleon, Queen Elizabeth, Donald Trump…. So als Beispiele genannt.

Welche Orte hätte ich erlebt, wie wäre meine Kindheit, Jugend, verlaufen? Wo stünde ich heute?


Förderer

Sparkasse Minden-Lübbecke

Dr. Strothmann-Stiftung

The Great Reset - Das große Narrativ

Schreibworkshop mit Peter Küstermann und Volker Papke-Oldenburg

16.12.2022

Im Rahmen der Projektreihe „Ja, was glaubst Du denn?“ fand in der Vorweihnachtszeit der letzte Workshop statt. Klirrende Kälte draußen, drinnen ein kontrovers zu diskutierendes Thema. Überwiegend waren die jüngeren Kultur-Scouts anwesend, begleitet von einigen Seniorinnen. Peter Küstermann und Volker Papke-Oldenburg moderierten.

The Great Reset – bekannt geworden durch ein Buch des Autors Klaus Schwab (Begründer des Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos) wird sehr unterschiedlich gedeutet.

In einer kurzen gezeigten Videosequenz wurden die Ziele von Klaus Schwab skizziert: Widerstandsfähigkeit erzeugen (Resilienz) – auch im Hinblick auf Pandemien, Gerechtigkeit fördern und der Umbau der Wirtschaft zu einer grünen Wirtschaft. Versprochen wird eine nachhaltig gerechte und verheißungsvolle Zukunft.

Mit einem zweiten Video wurde der Aspekt der Verschwörungserzählung beleuchtet.

The Great Reset hat auf der Liste der Verschwörungstheorien die Nummer Eins erklommen. Dieser Ansatz besagt, dass die Mächtigen der Welt (Weltkonzerne und Milliardäre) von Davos aus einen Neuanfang der Menschheit betreiben, mit digitaler Überwachung und letztendlich totaler Steuerung.

Im Plenum wurden die Positionen zunächst verdeutlicht. Sprachliche Barrien galt es überwinden, hatten doch die überwiegend syrischen Scouts zunächst Verständnisprobleme mit der Begrifflichkeit. Über Eselsbrücken wie dem Reset eines Smartphones konnte der Zugang gefunden werden. Der Begriff der Verschwörungstheorie war ihnen bestens bekannt, da dieser in den Sozialen Medien permanent präsent ist.

Nach der Schreibphase und einer Pause wurden die Ergebnisse vorgetragen. Dabei entstanden in der Kürze der Zeit ansprechende Texte, die sich intensiv mit den Anliegen Klaus Schwabs auseinandersetzten, ohne dabei Kritikpunkte zu vergessen.

Es war die letzte Veranstaltung im Kalenderjahr 2022. An alle Anwesenden richteten sich die besten Wünsche und Gesundheit für den Übergang in das Jahr 2023.

The Great Reset – Das große Narrativ

von Volker Papke-Oldenburg

Was ist Wirklichkeit, was ist Fiktion, was ist Verschwörung?

Das ist die Frage, die mich bei allen Überlegungen grundsätzlich beschäftigt.

Ein Reset ist meiner Meinung nach notwendig, um schonend mit den Ressourcen der Erde umzugehen, eine veränderte Lebensart ist erforderlich, ebenso das Streben nach mehr Gerechtigkeit.

Dennoch: Als philosophisch-denkender Mensch habe ich die Herangehensweise des ständig zweifelnden Menschen. Zu schnell wird bei abweichenden Meinungen von Verschwörungserzählungen oder – Theorien gesprochen. Die Berechtigung dieser Theorien will ich grundsätzlich auch nicht verneinen.

Aber dennoch meine ich, dass sich Meinungsbildungen verengen und Schubladendenken einsetzt. Der offene Diskurs bleibt außen vor. Das führt zur Spaltung.


Ist es schon 5 vor 12?

Schreibworkshop mit Peter Küstermann und Volker Papke-Oldenburg

25.11.2022

Im BÜZ begrüßten Peter Küstermann und der Moderator und Leiter des Projekts “JA, WAS GLAUBST DU DENN?”, der Philosoph und Theologe Volker Papke-Oldenburg, die Teilnehmer*innen zu einem Schreibworkshop.

Die Themen des Tages waren das Klima und die Gerechtigkeit. Die Tatsache, dass der fortschreitende Klimawandel die Unterschiede zwischen den ärmeren und reicheren Menschen und Ländern vergrößert und welche Möglichkeiten der Einzelne eigentlich hat, Umwelt- und Klimagerechtigkeit umzusetzen.

Als Einleitung zum Thema Gerechtigkeit wurde ein Film gezeigt, der die Schwierigkeit der gerechten Verteilung eines Kuchens verdeutlichte, da Menschen unterschiedliche Bedürfnisse haben, nicht gleich sind, klein oder groß, Diät machen usw. Bezugnehmend auf John Rawls “Theorie der Gerechtigkeit” könnte die Antwort darin liegen, dass diejenige Verteilung gerecht wäre, die möglichst vielen als gerecht und richtig vorkommt. Ein weiterer Film setzte sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander, der Möglichkeit, Ressourcen zu schonen und Emissionen zu reduzieren, um das Klima zu schützen.

Mit diesen Inspirationen gingen die Teilnehmer*innen in die Schreibphase mit der Frage: “Was könnte ich tun?”.

In ihren Antworten nahmen die Teilnehmer*innen Bezug auf die eigenen kleinen Möglichkeiten im Alltag bewusster und schonender mit der Umwelt und dem Klima umzugehen, z.B. Müll zu trennen, mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zu fahren, Handys weniger zu nutzen und Wasser zu sparen. Einige forderten auf politischer Ebene ein Abstandnehmen von fossilen Brennstoffen, einen Bürokratieabbau für den Ökostrom oder ein Tempolimit. Für die globale Wirkung wäre ein Einfluss auf China und Indien wegen deren Kohlekraftwerke notwendig. Auch wurde ein Emissionskreditsystem angedacht mit dem Ziel der Bewusstseinsförderung für den eigenen Verbrauch von Ressourcen.

In der anschließenden Diskussion zeigten sich die Teilnehmer*innen beeindruckt von der Komplexität des Themas und zeigten Mut für ein eigenes das Klima schützende Handeln mit einem guten Gefühl bei kleinen Schritten.

Es ist schon Fünf vor Zwölf

von Renate Dombrowa

Herr Professor Litif (Meteorologe und Klimaforscher am Helmholtz-Zentrum) sagt:

Solange wir von fossilen Brennstoffen nicht Abstand nehmen, haben wir keine Chance, die Erderwärmung zu beenden. Die Ziele Treibhausgase bis 2030 um 65 Prozent einzusparen, werden bei dem jetzigen Tempo nicht erreicht.

Was ist zu tun?

Genehmigungen, Bürokratieabbau – eine unendliche Zeitverschwendung. Der Ausbau der Windenergie wird verschleppt. Auch Photovoltaik müsste vom Gesetz her auf alle öffentlichen Gebäude. Der öffentliche Nahverkehr müsste wesentlich mehr ausgebaut werden. Dazu Tempolimit auf den Autobahnen.

Die eigenen Beiträge, die man leisten kann und sollte: Heizung drosseln, mehr saisonale Lebensmittel zu Mahlzeiten verarbeiten. Der verschwenderische Lebensstil sollte überdacht werden. 

Es gibt noch viel zu tun.


"Mensch, was denkst du?”

Schreibworkshop mit Andreas Schnieder und Jens Burgschweiger

14.10.2022

Im BÜZ waren die Lehrer und Autoren Andreas Schnieder und Jens Burgschweiger zu Gast im Schreibworkshop des Projekts “”JA, WAS GLAUBST DU DENN?”, geleitet und moderiert durch den Philosophen und Theologen Volker Papke-Oldenburg. 

Nach der Begrüßung der Teilnehmer*innen und Gäste durch Peter Küstermann stellten sich die beiden Autoren vor.

Andreas Schnieder studierte Kunstgeschichte und Philosophie und arbeitet nach seiner Tätigkeit im Museum als Kunstgeschichtler seit 13 Jahren als Lehrer am Besselgymnasium Minden für die Fächer Kunst und Philosophie.

Jens Burgschweiger ist studierter Theologe und war Vikar und Pastor der St. Martini Gemeinde in Minden, bevor er vor 15 Jahren als Lehrer für den Religionsunterricht und als Schulseelsorger an das Besselgymnasium Minden wechselte.

Die beiden Autoren haben ihr gemeinsames Buch mit dem Titel “Mensch, was denkst du”, veröffentlicht in der Reihe “Einsichten” beim Kröner-Verlag, vorgestellt. Es entstand durch einen Dialog der beiden Autoren in Briefform bzw. durch Emails und gibt dieses Wechselspiel der Gedanken durch Briefe wieder. Inspiriert wurde die Entstehung durch die Absurdität der Folgen des Coronavirus, dem eigenen wohligen Leben einerseits, sowie dem Tod und der Krankheit durch das Virus andererseits. Daraus entstanden Grundfragen des menschlichen Lebens auf die das Buch persönliche Antworten gibt und von denen drei Fragen die Teilnehmer*innen für die Schreibzeit inspirierten.

Diese Fragen lauteten:

  1. “Was möchte ich, was von mir bleibt?”.
  2. “Welche Verantwortung konnte oder will ich übernehmen?”.
  3. “Habe ich erfüllt gelebt?”.

Die Teilnehmer*innen waren in der 20-minütigen Schreibzeit aufgefordert, sich eine Frage auszusuchen und ihre Gedanken und Gefühle als Antwort niederzuschreiben.

Im Vortrag der eigenen Gedanken haben die jüngeren Teilnehmer*innen die Zukunft und ihre eigene Verantwortung, ihre Wünsche aufgezeigt. Sie möchten ein gutes Abitur machen und Medizin studieren oder beim Finanzamt arbeiten, Fallschirmspringen oder tauchen. Die älteren Teilnehmer*innen sahen ihre Familie als das, was bleibt und wünschten sich Gelassenheit und dass ihnen der Krieg erspart blieb, wie ihn die Väter erlebten. Eine Teilnehmerin sah die Erfüllung im mitfühlen, hinsehen, im lieben. Ein anderer ironisierte den im Leben angehäuften materiellen Reichtum, der auf der persönlichen Seite nicht als Erfüllung im eigentlichen Sinne angesehen werden könnte.

In der Schlussrunde bedankten sich die Teilnehmer*innen für die Inspirationen durch das Buch bei den Gästen, diese bei den Teilnehmer*innen für die vielfältigen Ausdrucksformen und die Sprachmelodien der Worte.

Carsten Stallberger

Was bleibt

diese Zeilen lesen
aber auch dazwischen
reden - aber nicht ver-sprechen
hören - ich höre dir zu
fühlen - ich fühle mit
sehen - ich sehe hin
lieben - ich liebe es
Das Ganze sehen
nicht den Ausschnitt
bleibt das von mir?
wird es zählen?
werdet Ihr es erzählen?

I

was bleibt

was bleibt von mir

meine Gestalt in verschiedenen Altersstufen
eine Menge Fotos - wer wird sie noch ansehen?
Bilder werden von der Wand verschwinden
wie fallendes Laub
einige Einträge im www.
geisterhaft - virtuell
wird sie in Zukunft ein Supercomputer analysieren
und löschen, weil nicht von Belang?
meine Kleider - meine 2. Haut
teilweise auf dem Flohmarkt gekauft
werden wieder im Sozialkaufhaus landen
Kreislaufwirtschaft -
das gefällt mir - ich muss lächeln
unser Haus - meine feste Burg
irgendwann muss ich dieses kleine Paradies verlassen
mein Mann - durch dick und dünn
mein Sohn = meine Einstellung hoch 2
nah an einer gefährlichen Mischung
ich wünsche allen Glück
mit ganz viel
L I E B E

Fotos: Detlef Müller


Ziele meines Lebens

Schreibworkshop mit Doris Pütz

09.09.2022

Mein eigener Weg

Im BÜZ war Doris Pütz zu Gast im Schreibworkshop “JA, WAS GLAUBST DU DENN”. Das Thema des Tages war die Frage der Entwicklung individueller Zukunftsperspektiven, ausgehend von den Fragen: “Wer bin ich?”, “ Was sind meine Stärken?”, “Welche Lebensziele habe ich?”, “Wie kann mein erfülltes Leben aussehen?”

Nach einleitenden Begrüßungsworten stellte der Leiter und Moderator des Workshops Volker Papke-Oldenburg, Philosoph und  Theologe, den Gast vor.

Die mittlerweile ehemalige Leiterin einer Grundschule las zur Inspiration der Teilnehmer*innen die Geschichte “Ich wäre gern!”. In dieser ruft Gott eine Versammlung je eines Vertreters aller Lebewesen ein und bittet diese um die Beantwortung der Frage: “Was möchtest du sein?”. Als Antwort bekam er von der Giraffe, dass sie ein Bär sein wolle. Als Antwort des Menschen durften die Teilnehmer in der Schreibzeit niederschreiben, was sie gerne wären und warum.

Im Ergebnis wären einige Teilnehmer*innen gerne noch mehr sie selbst gewesen, in jedem Moment, weil es im Grunde mehr nicht gäbe. Ein anderer wäre gern eine Blume gewesen, kein Carnivore, dafür friedlich und ohne Waffen. Eine wäre gerne Gott gewesen, damit sie u.a. das Klimaproblem lösen könnte. Eine weitere hätte gerne gewusst, was die Welt im Innersten zusammenhält, eine würde gerne Leiterin eines literarischen Salons sein, während andere gerne Tiere gewesen wären: Hund, Elefant, Pferd, um die Fähigkeiten dieser Tiere zu besitzen.

Als zweite Inspirationsquelle las sie die Geschichte “Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen” vor, in der es um die Fragen des Talents einerseits und der Kraft durch Fleiß und Übung andererseits ging. Danach waren die Teilnehmer*innen aufgefordert, auf einem Lebensbaum ihre Talente und Begabungen aufzuzeigen, die Hilfen und Probleme im Leben, welche Begabung und Stärke sie jetzt leben und welche Ziele sie haben. So vielfältig die Menschen sind, so vielfältig waren die autobiographischen Ergebnisse.

Im dritten Teil setzte sich Doris Pütz unter Verwendung von Bildern und Texten mit dem “Versuchen” auseinander. Sie wollte die Fähigkeit des Menschen aufzeigen, sich neuen Aufgaben zu widmen, neue Wege zu gehen und neue Erfahrungen zu sammeln. Sowie die menschliche, Eigenart es doch zu unterlassen aus der Angst, Fehler zu machen, und bestehenden Selbstzweifeln. Diese hemmenden Unsicherheiten, etwas zu versuchen, können durch das Bewußtsein überwunden werden, dass man nach jedem Scheitern schlauer ist als zuvor und etwas von Bedeutung für sich getan hat. Sich selbst das Recht geben zu scheitern, gibt die Möglichkeit des Gelingens, lautete ihr Resümee.

In der abschließenden Diskussion würdigten die Teilnehmer*innen in respektvollem Umgang die Vielfalt der Expressionen, die Einblicke in die Biographien sowie die erhaltenen neuen Anregungen.

Philosophische Hilfen bei der Entwicklung individueller Zukunftsperspektiven

von Doris Pütz

Wer bin ich?

Was sind meine Stärken?

Welche Lebensziele habe ich?

Wir könnte mein erfülltes Leben aussehen?

Über zwei kleine Geschichten werden wir uns mit diesen Fragen vertraut machen. Wir nähern uns den möglichen Antworten über Schreiben und Malen und einer gemeinsamen offenen Diskussion der vorgetragenen Ergebnisse.

Zum Abschluss schauen wir uns das Buch:  „Versuchen“ an und nehmen die Gedanken daraus mit auf unseren Heimweg.


Wer bin ich und wer will ich sein?

Schreibworkshop mit Wolfgang Schröter

26.08.2022

Die vierte Veranstaltung der Reihe „Ja, was glaubst Du denn?“ wurde wie stets moderiert von ihrem Initiator, dem ehemaligen Religions- und Philosophielehrer Volker Papke-Oldenburg. Sie knüpfte nach zwei eher auf persönliche Seinsfragen zugeschnittenen Nachmittagen im Sinne der kantischen Grundfragen nach der menschlichen Natur und ihren ethischen Pflichten eher an den dritten Termin vom Juni des Jahres an: hier wurde ein Abriss über die Ereignisse des Arabischen Frühlings ab 2010/11 gegeben und damit ein eher politik-philosophisches Kapitel eingeläutet, welches nun thematisch seine Fortsetzung fand.

Als Referent war Wolfgang Schröter, Historiker und Lehrer aus Porta Westfalica, eingeladen, einigen der Teilnehmenden bereits bekannt aus dem letzten Jahr, wo er einen bemerkenswerten Workshop zum Thema „Fake News“ am Beispiel der Memoiren Albert Speers geleitet hatte. Diesmal standen Flucht und Migration als Folge von Diktatur und Gewaltherrschaft im Zentrum von Schröters Überlegungen.

Er begann seinen von Anfang an stets interaktiven Vortrag mit der gemeinschaftlichen Klärung einiger wichtiger Begriffe wie „ethnische Säuberung“, „Gewaltherrschaft“ und „Fluchterfahrung“, zu dem nicht nur die teils jugendlich-migrantischen Teilnehmenden, sondern auch u.a. ältere Deutsche, die als Kinder noch das Weltkriegsende erlebt hatten, das Ihre beizutragen wussten. Schröter schloss einen Rückblick über historische Migrationsbewegungen und ihre Ausmaße und Auswirkungen an und erinnerte u.a. an die vietnamesischen Boat People der 1970er Jahre, der Jahrzehnte andauernden Abwanderung der Russland- und Rumäniendeutschen, aber auch der Vertriebenen der Jugoslawienkriege der 1990er Jahre sowie der neueren Emigrationsherde Tschetschenien, Syrien, Irak und Afghanistan des frühen 21. Jahrhunderts: stets mischen sich politische oder religiöse Unterdrückung mit wirtschaftlichen Repressionen und Entbehrungen, nicht selten ausgelöst durch despotische Regime.

Die provokante Frage, die Schröter und Papke-Oldenburg schließlich stellten, lautete: Ist politischer Mord eine Lösung, um dem Migrationsdruck zu begegnen? Dies wurde erwartungsgemäß kontrovers diskutiert: die ersten Einschätzungen reichten von Statements wie „Das ist unmenschlich“ bis zu „Das ist absolut notwendig“.  Einige Teilnehmende bezogen sich auf ihre eigenen Erfahrungen, wie etwa drei junge Tschetscheninnen, die auf Khadirovs „Verborgenen Krieg“ gegen die eigene Bevölkerung hinwiesen (und später auch darüber schrieben). Der Diktator Khadirov und seine Familie seien die personifizierte Angst – weitgehend einig in dieser Darstellung der Verhältnisse kamen auch sie jedoch zu unterschiedlichen Bewertungen eines potenziellen Attentats gegen den Gewaltherrscher.

Eingedenk westlicher Versuche von regime changes wie etwa in Libyen stellte sich nicht nur die Frage der grundsätzlichen Legitimität, sondern auch der Unsicherheit der Auswirkungen: Der Sturz Ghaddafis etwa trieb das Land in ein politisches Chaos, das Millionen von schwarzafrikanischen Geflüchteten, die im wohlhabenden Ölstaat Libyen Lohn und Brot gefunden hatten, dazu zwang, entweder in ihre Heimatländer zurückzukehren oder die weitere Flucht in Richtung Europa zu wagen; teilweise strandeten sie in unmenschlich geführten Zwischenlagern.

Die Wahrheitsfindung gestaltet sich zudem schwierig, auch scheinbar freie Medien vermitteln aus verschiedensten Gründen oft ein sehr einseitiges Bild von Zuständen, die zu gewaltsamen politischen Umstürzen führen können. Ein Teilnehmer führte dies anschaulich am Beispiel des Maidanaufstandes von 2014 aus, in welchem mutmaßlich die Interessenskonflikte von Oligarchen aus Ost und West eine größere Rolle gespielt haben dürften als ein wie auch immer gearteter Volkswille.

Wolfgang Schröter führte anschließend an drei Beispielen prominenter politischer Morde die ganze Bandbreite von Auslösern, Folgen und Rechtfertigungen vor: Cäsar – Hitler – Osama Bin Laden. Die Gegner Cäsars intendierten eine Restaurierung der Römischen Republik, das Ergebnis von Cäsars Ermordung war jedoch das Kaiserreich unter Cäsars Adoptivsohn Augustus und eine nur scheinbare Machtteilung unter dem Kaiser als „primus inter pares“. Hitler richtete sich zwar selbst, wäre aber im Namen einer (von den USA angeführten) Weltordnung bei den Nürnberger Prozessen mit einiger Sicherheit offiziell zum Tode verurteilt worden. Das Aufspüren Bin Ladens und seine Auslöschung durch ein militärisches Sonderkommando der US Navy basiert zwar nominell auf einer entsprechenden Interpretation des Kriegsvölkerrechts, muss aber eigentlich wohl eher unter der Rubrik Rachemord geführt werden.

Der Tenor der anschließenden Schreibphase war entsprechend vielfältig in seinen Mitteln und Aussagen und reichte von einer Satire über den „Stammtisch der Diktatoren“ bis hin zu kleinen Essays mit den Abwägungen des Für und Wider politischer Morde. Die ganze Bandbreite der vorhergegangenen Diskussion fand sich darin wieder, von Ratlosigkeit bis zu den auch weiterhin aufrechterhaltenen Ansichten wie der, ein Diktator habe „kein Recht auf Leben“ und seine gewaltsame Beseitigung wäre eine „große Erleichterung“ für die Menschen oder der Erkenntnis, das eine echte „Veränderung nur von innen, aus der gesamten Bevölkerung“ kommen könne.

Wolfgang Schröter hatte mit seiner Initialfrage die Problematik genau auf den Punkt gebracht – die Abschlussrunde befand entsprechend, dass die Veranstaltung ein hochinteressantes Thema geboten habe, das zum Weiterdenken anrege und würdigte die von gegenseitigem Respekt geprägte Atmosphäre des Diskussions- und Schreibnachmittages.

(Marcus Neuert)

Diktatoren

von Hartmut Karge

Für mich ist das Schlimmste, zu erfahren, dass Menschen gefoltert werden. Für mich ist es das Unmenschlichste, wenn Menschen gequält werden und ihnen schreckliche Schmerzen zugefügt werden. In der Regel sind es Diktatoren, die Andersdenkende und Kritiker einsperren und auf grausamste Weise foltern, töten oder einfach verschwinden lassen, wie etwa auf offenem Meer aus dem Flugzeug werfen.

Alle Diktatoren, die so handeln, haben nach meiner Auffassung kein Recht auf Leben. Wenn man einen solchen Diktator beseitigen würde, wäre das für mich, obwohl ich persönlich nicht betroffen bin, aber aus Mitgefühl für die Opfer,, eine große Erleichterung. Eine Last würde mir vom Herzen fallen.


Der Arabische Frühling

03.06.2022

In Volker Papke-Oldenburgs philosophisch ausgerichteter Textwerkstattreihe „Ja, was glaubst Du denn?“ war am nunmehr dritten Termin Ridha Bachta zu Gast, der der wie stets bunt gemischten Gemeinde Schreibwilliger einen Abriss über die wichtigsten Ereignisse des so genannten „Arabischen Frühlings“ ab 2010 gab – dezidiert aus der Perspektive eines seit über vierzig Jahren in Deutschland ansässigen Tunesienstämmigen, der auch heute noch vielfältige Kontakte in seine alte Heimat pflegt.

Nach einer kurzen polulärwissenschaftlichen Einführung in das Feld der politischen Philosophie durch Volker Papke Oldenburg referierte Bachta zunächst über die geschichtlichen und geopolitischen Hintergründe Tunesiens von Karthago über die Zeiten der Islamisierung und als Teil des osmanischen Reiches, über die französische Kolonialzeit bis zur Unabhängigkeit des Landes 1956. Seither sei Tunesien ein Land „zwischen den Welten“, geprägt von den Traditionen des Orients, aber auch stets am Puls der europäischen Moderne, was durch den ersten Präsidenten der neuen Republik Habib Bourguiba nicht unwesentlich mitgestaltet wurde, der in Frankreich studiert hatte und mit einer Französin verheiratet war. Doch u.a. die einseitige Ausrichtung auf den Tourismus ab den 1960er Jahren (auch Bachta selbst kommt ursprünglich aus dem Hotelfach) führte zu einem kulturellen und vor allem auch wirtschaftlichen Ungleichgewicht. Nach Jahrzehnten, in denen sich mehr oder weniger autoritäre Führungspersönlichkeiten abwechselten, war der Niedergang gegen 2010 so dramatisch geworden, dass eine Revolte losbrach, die mit der Selbstverbrennung eines jungen arbeitslosen Akademikers begann und eine Welle der Empörung nach sich zog, die zuerst den amtierenden Präsidenten Ben Ali wegfegte (er exilierte bezeichnenderweise ins Mutterland islamischer Autokratie – nach Saudi-Arabien) und in der Folge viele Länder des Maghreb und des Nahen Ostens in bis dahin ungekannte pro-demokratische Turbulenzen versetzte und dabei erstmals auch die Möglichkeiten einer „Online-Revolution“ nutzte, bei welcher sich die Aufständischen mithilfe der social media zu Demonstrationen verabredeten. Doch die Freude über kurzzeitige Pyrrhussiege währte nicht lange, die wirtschaftlichen Probleme verstärkten sich und zwangen Millionen in die Migration; gleichzeitig setzte eine radikale Reislamisierung ein, allein 5000 Kämpfer aus Tunesien nahmen für den IS in Syrien an den Kriegshandlungen gegen das Regime von Baschir Al-Azad teil. In Tunesien selbst häuften sich Anschläge, die den Tourismus schwer beschädigten, was Flucht und den gefürchteten brain drain-Effekt noch verstärkte. Allein aus Tunesien flohen 30.000 Ärzte und 20.000 Ingenieure nach Europa.

Bachtas Impressionen wurden von Peter Küstermanns Erfahrungen als Reiseleiter, so etwa die wiederholten Begegnungen mit einem weisen tunesischen Teppichhändler, und Mohamed Ghneems Perspektive auf den Arabischen Frühling aus syrischer Sicht flankiert.

Das Schreiben der Gruppe bewegte sich denn vor allem um die Frage enttäuschter Hoffnungen im politischen Kontext. Die älteren deutschstämmigen Teilnehmenden bezogen sich dabei nicht selten auf die Erfahrungen mit der Hitlerdiktatur, während für die jungen Geflüchteten ihr unmittelbares Erleben von Flucht und Vertreibung im Vordergrund stand. Die meisten Beiträge waren von tiefen persönlichen Auseinandersetzungen mit dem Thema geprägt, oft biografisch, mitunter auch essayistisch oder literarisch fiktional.

Ein rundum gelungener Workshop mit so vielen Facetten, dass die angesetzten anderthalb Stunden nicht ganz ausreichten und alle Beteiligten zeitlich überzogen – kein Wunder bei so einem aktuellen und spannenden Thema. Vielleicht sollte man gerade die philosophische Reihe eher auf jeweils zwei Stunden ausdehnen?

(Marcus Neuert)

Leben in einer Diktatur, Leben in Freiheit, Leben?

von Doris Pütz

Meine Eltern haben Diktatur und Krieg erlebt. Sie sprachen mit uns nie darüber. Auch in der Schule wurde das Thema verschwiegen, vielleicht aus Schuld- oder Schamgefühlen.

Als ich Mitte 20 war, fuhr ich mit einer Reisegruppe nach Israel. Am Silvesterabend saßen wir gemütlich beisammen, als plötzlich eine jüngere Frau aufsprang und erregt rief. „Ihrhättet euch alle gegen Hitler und sein Regime wehren müssen. Ihr seid alle schuldig.“

Gerichtet war dieser Vorwurf natürlich an die älteren Mitreisenden. Ich erschrak sehr und dachte nur:

Hätte ich es denn geschafft? Wäre ich in der Lage gewesenJuden zu verstecken? Hätte ich wie die Männer aus dem Kreisauer Kreis über Jahre hinweg den Mut aufgebracht den Umsturz zu planen?

Die Menschen im Widerstand wussten sie riskierten Gefängnis, Folter und Tod und ihre Familien wurden dann ebenso bedroht, wenn sie aufflogen (Sippenhaft).

Hätte ich mein eigenes Kind einer solchen Gefahr ausgesetzt?

Wir, die wir in Freiheit leben, haben es leicht mit dem Finger auf andere zu zeigen. Ich bewundere die Menschen, die im Widerstand waren, aber ich verurteile keinen, der es nicht schaffte.

Als ich mein Haus baute, suchte ich mir für mein Bad einen Fries aus. Viele Fische schwimmen in eine Richtung, ein lächelnder, andersfarbiger in die andere.

Auch wir, die wir in einer Demokratie leben, brauchen Kraft, uns gegen den Mainstream zu stellen, wenn es nötig ist. Auch wir müssen manchmal unangenehme Meinungen sagen, die uns ins Abseits bringen, wenn es unsere Überzeugung ist.

Mein Blick im Badezimmer auf mein Fries stärkt mich in dieser Haltung.

Wir dürfen dem Schicksal dankbar sein, in einem Land zu leben, in dem wir unsere Meinung sagen können.

Dieses Privileg ist nicht selbstverständlich und mir erscheint es wichtig, es nie aus den Augen zu verlieren.

Arabischer Frühling

von Hartmut Karge

Ich glaube, es gibt einen Satz, der lautet „Die Demokratie ist die beste aller schlechten Regierungsformen.“ Manchmal hat man wirklich den Eindruck, das Parlament sei eine Quasselbude. Nicht wenige Politiker vertreten Interessengruppen, die nicht das Allgemeinwohl im Sinn haben. Demokratien haben den Beigeschmack, Lobbykratien zu sein. Im Kleinen wie im Großen die Menschen sind von Eigeninteressen geleitet, nicht vom Allgemeinwohl.Wenn die Mehrheit die Macht hat, wie in der Demokratie, dann bleibt viel Gutes für die Schwachen und nicht Durchsetzungsfähigen auf der Strecke.

Es ist ein verführerischer Gedanke, sich eine Regierungsform zu wünschen,wo nicht die Masse der Weniggebildeten die Regierung wählt. Es ist ein verführerischer Gedanke, sich eine Diktatur zu wünschen, in der der Weiseste und Klügste das Sagen hat oder wo die Besten herrschen im Sinne einer Aristokratie. Aber in der Realität haben Idealisten keine Chance. Also bleibt nur als kleineres Übel „die Demokra+tie als beste aller schlechten Regierungsformen“.

Sprichwörter

von Marcus Neuert

aus aller Herr:innen Länder
hoffen sie sich in die Ferne

weil eben nicht alles Gute
von oben kommt, oh nein

weil keine bleiben kann wo
keines Bleibens sein kann

weil in Jahren, Jahrzehnten,
Jahrhunderten nichts sich ändert

weil Widerstand durch die
Verhältnisse geht wie durch Butter

weil die Eliten zurückschlagen
sich transformieren, sich schönlügen

weil Armut nicht adelt
sondern in die Asche drückt

weil Zuflucht kein Wort
ihrer Inlandssprache mehr ist

aus aller Herr:innen Länder
machen sie sich auf in die Ferne

weil bleibe im Lande und wehre
dich täglich eine sehr deutsche

Weisheit ist, denn etwas besseres
als den Tod findest du überall

Tunesien

von Renate Dombrowa

Im Jahr 1981 machten mein Mann und ich Urlaub in Tunesien.Vom Flughafen Tunis ging es per Bus durch das Atlasgebirge zum wunderschönen Ort Nabeul.wo wöchentlich der größte Kamelmarkt statt fand  .Natürlich war die Armut sichtbar .Doch man glaubte,mit der Öffnung hin zum Tourismus würden die Lebensumstände sich verändern.Doch der arabische Frühling der soviel Hoffnung versprach endlich die Lebensümstände, raus aus der Unterdrückung und der Armut verbessern bewahrheitete   sich nicht.Der Traum hin zu mehr selbstbestimmten Leben wurde schnell zerschlagen.Hier wäre politischer Beistand der westlichen Welt evtl .sehr hilfreich gewesen. Aber wie sagt ein Sprichwort,die Hoffnung stirbt zuletzt. Eine Welt,in der sich alle Völker verstehen,das sollte das Ziel der Politik sein.

Vom Teppichhändler, der Revolutionäres tat- und trotzdem in den Himmel kam

von Peter Küstermann

Als ich zum ersten Mal durch die verwinkelten Gässchen der Medina in der Stadt Houmt Souk auf der Insel Djerba bummelte, da stand er inmitten wertvoller Antiquitäten vor seiner Höhle voller handgewebter Teppiche und bat mich herein. Ein kleiner Tunesier, Ende 40, mit ernsten Gesichtszügen und Halbglatze im perfekt gebügelten Kaftan.

Er freute sich, deutsch zu sprechen, fließend und fast akzentfrei. Das hatte er ohne Schule und Lehrbuch gelernt in der "Strand Akademie", wie er sagte. Vor 25 Jahren kamen die ersten deutschen Touristen. Da war er mit seinem Esel am Strand langgezogen, hatte reiten angeboten und den Deutschen das Geld aus der Tasche gezogen und gut zugehört. Jetzt saßen wir also in seiner Höhle voller Preziosen auf den Bergen weicher Teppiche, und er zitierte Goethes Faust. Auswendig.

Über die strategisch günstig gelegene Mittelmeer-Insel Djerba sind im Laufe der Jahrtausende immer wieder fremde Eroberer hergezogen, haben viel Blut vergossen und alle irgend etwas Sprachliches hinterlassen. Deshalb sind die Djerbi sehr sprachbegabt, aber Abdelfettah Kriouane ganz besonders - so hieß er nämlich. Wir saßen also in seiner Höhle bei frisch aufgebrühtem Pfefferminztee auf den weichen Teppichen. Vier Stunden lang fachsimpelten wir über Abraham in Koran versus Bibel, über den tunesischen Diktator Ben Ali, über Goethe und Khalil Gibran, den großen arabischen Poeten. Dann musste er schnell in die Moschee zum Beten, so wie alle 4 Stunden und verabschiedete sich. Gelegentlich durften wir sogar mitkommen in seine einfache Moschee eben um die Ecke. Das blieb die ganzen Jahre so, wenn wir uns getroffen haben. Ich habe übrigens nie etwas bei ihm gekauft.

Der Herbst auf Djerba ist wunderschön.  Die KaktusFeigen reifen, und die Luft wird mild. In all den folgenden Jahren habe ich jeden Herbst mit deutschen Freunden Abdelfettah besucht in seiner Höhle auf den Teppichen. Wir haben herzhaft darüber gestritten; was Allah sich wohl dabei gedacht hat, dass in der Moschee die Frauen hinten knien müssen, hinter den Männern. Unser Gastgeber war überzeugt, dass die sonst vom Beten abgelenkt würden. „Ja und?“ habe ich entgegnet, „wenn die Männer vorn knien vor den Frauen - werden die Frauen dann nicht abgelenkt?" Mein Freund Abdelfettah - wir umarmten uns inzwischen zur Begrüßung und beim Abschied- kannte sich sehr gut aus. In den Religionen, in der Politik, in der Geografie.

Nur außer Landes war er noch nie gewesen. Das war sehr teuer. Deshalb buchte ich für ihn seine erste Reise in die USA beim günstigsten Reisebüro in meiner Heimatstadt Minden. Er reiste gemeinsam mit seinen beiden Töchtern. Weil er der Ansicht war, sie müssten die westliche Welt mit eigenen Augen kennenlernen, und nicht durch die verdrehten Bilder, die ihnen die Satellitenschüsseln auf Djerba in die Köpfe spülten. Eine Tochter saß damals schon im Rollstuhl, und heute noch.

Jamina, die ältere, studierte dann Englisch in der entfernten Landeshauptstadt Tunis. Sie lebte dort mit einem Freund - was der Alte natürlich nicht wissen durfte, offiziell. Da war er voll der traditionelle Vater aus dem agrarischen Süden des Landes. Beide Töchter sind Englischlehrerinnen geworden. Nach dem Examen kehrte Jamina zurück auf die Insel als Lehrerin. meine Freunde und mich lud sie immer wieder in ihren Englischunterricht am Gymnasium in Houmt Souk ein,, den Ort, wo diese Geschichte begann. Damit ihre Schüler endlich mal jene schwierige Sprache live im Dialog erkunden konnten. Wunderschön war es, als die dann vor unserem nächsten Besuch ein Gedicht von mir vertont hatten und uns vorgesungen haben, auf englisch. Das war für sie eine echte Leistung, da flossen Tränen bei den Besucherinnen.

Jamina war eine selbstbewusste junge arabische Frau, die zum Beispiel bei der Führung im Heimatmuseum dort die nachgebaute traditionelle Beschneidungszene äußerst kritisch interpretierte und sich gegen die fürchterliche Beschneidung der Frauen in afrikanischen Ländern sehr deutlich wandte.

Dann lud sie mich zu ihrer Hochzeit ein, sie wollte einen Kollegen heiraten. Dafür war ein ganzes Hotel angemietet. 800 Gäste wurden erwartet. Das war nur eine kleine Feier. Zur Hochzeit ihres Bruders waren 2000 Gäste eingeladen gewesen; die ganze Feier hatte so viel gekostet wie ein Kleinwagen. Ich war als Freund der Familie eingeladen und sollte das Fest als Klavierspieler begleiten. Zwei Tage vorher erhielt ich eine SMS von Jamina: "Brauchst nicht kommen. Ich nehme den Kerl nicht." Als ich dann Abdelfettah bei unserem nächsten Treffen fragte: "Wie hast du dich denn dabei gefühlt, war das nicht eine Schande für deine Familie? Vor den Nachbarn?" - da überlegte er lange und antwortete: "Ich möchte, dass meine Tochter glücklich ist."

Er scheute keine Hausarbeit, bügelte grundsätzlich selbst seinen Kaftan und pflegte mit Hingabe die geliebten Rosen in seinem Garten. Seit ich ihn dann mit meinen deutschen Freunden auch zu Hause besuchte, schenkte er als echt arabischer Kavalier jeder Teilnehmerin eine Rose aus seinem Garten. Frisch geschnitten. Ich habe nie einen Menschen erlebt, in dem Tradition und Moderne dermaßen aufeinanderprallten. Abdelfettah hat es geschafft und zu seiner Lebensaufgabe gemacht, die Brücke zwischen beiden zu schlagen. Das beeindruckt mich sehr.

Als Hadj hatte er hohes soziales Ansehen. Das bedeutet: er war nach Mekka gepilgert, um dort den Gang um die Kaaba zu machen - und was ein frommer Moslem noch tun sollte, um in den Himmel zu kommen. Das war echt teuer. Dafür musste er viele Teppiche verkaufen. Denn die Saudis nehmen ihre Glaubensbrüder aus anderen Ländern gehörig aus für den Flug und die Unterkunft. Mein Freund hatte richtig investiert für die Pilgerreise. Und er war ja auch ein spirituelles Schlitzohr. Als er das zweite Mal nach Mekka pilgerte, nahm er seine Frau mit. Kaum war das Flugzeug gelandet in Riad, da bestellte er einen Krankenwagen mit den Worten: "Meine Frau ist Dialysepatientin und muss sofort ins Krankenhaus zur Blutwäsche." Hätte er das vor dem Abflug gesagt, dann hätte sie niemand überhaupt erst ins Flugzeug gelassen. Aber er wollte seine Frau ja mitnehmen in den Himmel, um dort nicht allein zu sein. Sie ist Jahre vor ihm dort angekommen und hat ihn erwartet.

Vier lange Jahre. Ein böser Tumor fraß Abdelfettah auf. Trotzdem ist er eisern weiterhin alle 4 Stunden in die Moschee gegangen zum Beten. Leider durften wir nicht mehr mitgehen. Durch den arabischen Frühling wurde uns unreinen Ungläubigen der Besuch eines muslimischen Gotteshauses verwehrt. Mein tunesischer Freund hat weiterhin sein Heim geputzt, die Rosen geschnitten, seinen Kaftan gebügelt, so gut es ging. Und er hat gelegentlich noch mal eine Stunde mit uns zusammengesessen. Er wurde langsamer, verfiel so einsam wie sein Haus. Ohne seine Tochter Jamina.

Was war aus ihr geworden? Sie heiratete einen Beamten im Süden des Landes. In der Stadt Douz am Rande der Wüste. Ihren Vater sah sie nicht mehr. Ihr Mann hat ihr verboten, weiterhin mit uns Westlern zu kommunizieren. Keine Mails mehr, keine sms, nix. 300 Jahre Aufklärung für die Katz.

Beim letzten Wiedersehen, bei der letzten Umarmung war Abdelfettah und mir klar: das ist das letzte Mal. Er war schon auf dem Weg nach oben. Seine persönliche Revolution ist gescheitert. Aber er ist angekommen. In seinem eigenen Himmel mit seiner geliebten Frau. Dort sorgt er jetzt dafür, dass die Engel-innen hinten knien müssen. Und das gönne ich alter Atheist ihm. Von Herzen.                                        

Ridha berichtete über den Arabischen Frühling. Und woran denken Deutsche? - Natürlich an unseren eingenen üblen Diktator

von Gitte Michusch

Ich war noch kein Teenager, da begann ich schon hauptsächlich meinen Vater zu fragen, wie die Machtergreifung durch Hitler möglich war, wie es zum 3. Reich und zum 2. Weltkrieg kommen konnte. Die jubelnden Massen aus den Dokumentationen vom Fernsehen verstörten mich. Ich konnte es nicht begreifen, wie Menschen unkritisch einem Agitator zujubeln konnten.

Mein Vater erzählte oft von seinen Kriegserlebnissen, aber nur ausweichend davon ob und wie er die Nazis unterstützt hatte. Es kamen immer nur vage Begründungen dergestalt, wie: man hatte mitmachen müssen, andernfalls wäre man verhaftet worden.

Das machte mich wütend. Ich war fest davon überzeugt, dass ich mich in einer solchen Situation der Widerstandsbewegung angeschlossen hätte, selbst mit der Aussicht mein Leben zu verlieren.

Als wir den jüdischen Gedenkstein in Frille einweihten, der an das zerstörte Bethaus erinnert, kamen mir erste Zweifel an meiner bis dahin festen Einstellung. Ich war inzwischen Mutter geworden. Hätte ich meinen kleinen Sohn alleine gelassen, wenn es darauf angekommen wäre Farbe zu bekennen? Ich war zum ersten Mal unsicher geworden.

Mittlerweile blicke ich etwas anders auf die Ereignisse. Der Zeitgeist muss ein anderer gewesen sein. Vielleicht waren die Menschen damals mehr obrigkeitshörig. Außerdem muss es im geschichtlichen Kontext gesehen werden zusammen mit dem 1. Weltkrieg, Weimarer Republik und Weltwirtschaftskrise und mit völkischer Einstellung (die ins 1900 Jahrhundert zurück reicht - also mitnichten eine Erfindung Hitlers). Ich habe im Zentrallager ein Schulbuch aus der Hitlerzeit gefunden. Es handelte von einer Art Sozialkunde. Durch das Lesen bekam ich einen Eindruck, wie die Kinder damals auf Linie gebracht wurden. Übrigens wurde in dem Buch immer wieder betont, wie friedliebend und fürsorglich der Führer doch sei.

Was muss Hitler für ein Mensch gewesen sein, das die Massen auf komplexe Fragen mit einfachen Antworten von ihm zufrieden waren? Was muss dieser Mann für eine Ausstrahlung gehabt haben, die wir trotz Filmmaterial nicht mehr nachvollziehen können.

Ich habe mich einmal mit unserem ehemaligen Ortsvorsteher unterhalten. Der gab zu, als Schuljunge ein begeisterter Anhänger Hitlers gewesen zu sein. Auf so ein Eingeständnis habe ich von der Generation der Eltern und Großeltern gewartet. Mit entsprechenden Erklärungen, warum das so war, hätte es die Wut herausgenommen, die unsere Generation hatte.

Mein Vater weigerte sich nach dem Krieg zu großen Veranstaltungen zu gehen. Größere Feste und Versammlungen mied er von da an. Er war ein einfacher Mann mit wenig Schulbildung. Die Hälfte der Schulzeit verbrachten die Schüler nicht im Unterricht, sondern auf dem Schulland des Lehrers mit Arbeit. Was sollten die Kinder schon groß lernen, wenn sie doch später nur für die Arbeit auf dem Gutshof gebraucht wurden. Trotzdem schrieb er gelegentlich Gedichte, ohne die Rechtschreibung ausreichend zu beherrschen, oder gar etwas von Versmaß zu verstehen. Leider habe ich nur wenig davon in seinem Nachlass gefunden. Dies ist eines davon:

Lied

Kennst du den Graben, der meilenweit sich zieht,
von wenigen Kriegern er verteidigt wird.
Kanonen donnern, dass es weithin schallt,
das war meine Heimat und das Ermeland.

Kennst du den Wald, zerschossen und zerhauen,
wohin kein Rehlein springt, kein Vogel singt.
Zerschossen Bäume schon mich traurig an,
was tat ich dir, du rauher Kriegersmann?

Kennst du das Haus, in Erde eingegraben
drei Meter tief und dunkel war es auch
Ach, Kam´rad, führ´ mich, führ´ mich an der Hand
in deinen bombensich´ren Unterstand.

Kennst du den Friedhof, worauf die Kreuze stehen,
darauf geschrieben steht in schwarzer Schrift:
Für Deutschlands Ehre, Freiheit, Vaterland,
die Pioniere aus dem Preußenland.

Was mich 2008 auch irritiert hat: Die Rede von Obama in Berlin vor 200 000 jubelden Menschen.

Damals war er nur Präsidentschaftskandidat. Er hatte noch nicht irgendetwas bewerkstelligt, was diese Begeisterung gerechtfertigt hätte. Mit dem Hintergrund unserer Geschichte habe ich gedacht, er sollte zuerst mal beweisen, dass er etwas anständiges zu Wege bringen kann, bevor ich ihm zujubeln würde. Nach 63 Jahren gab es in Deutschland wieder einen Massenauflauf für…

ja - für was? Ich fand und empfinde das als verstörend.

Ich höre auch öfter die Aussage: „Ich habe vieles nicht gewusst - es wurde in der Schule nicht behandelt.“ Das ist auch etwas, dass mich mit vielen Fragezeichen zurücklässt.


Wer bin ich und wo will ich hin?

13.05.2022

Dieses spannende Thema stand im Mittelpunkt des 2. philosophischen Schreibworkshops der achtteiligen Reihe „Ja, was glaubst du denn?“. Ziel dieser Workshopreihe soll es sein, Senior*innen, Geflüchtete und im Integrationsprozess stehende Menschen - Jugendliche -wie Erwachsene - zu einem intergenerativen und interkulturellen Erfahrungsaustausch über Fragen und Probleme der Alltagsphilosophie zusammenzubringen und ihnen gegen Ende die Möglichkeit zu geben, das eigene Erleben und das persönliche Ergebnis dieses Austauschs in einem kurzen schriftlichen Beitrag zu skizzieren. Geleitet wurde der Workshop von Volker Papke-Oldenburg, einem erfahrenen Philosophen, der über mehrere Jahre das Philosophische Café in Minden moderiert hat und dem Projektleiter der Reihe, Peter Küstermann.

15 Teilnehmer*innen zwischen 15 und 75 Jahren hatten sich eingefunden, die in einer Einführungsrunde ihre persönliche Sichtweisen zu der Frage „Wer bin ich?“ darstellten.

Interessant gestaltete sich diese Runde durch die generationsbedingt unterschiedlichen Ansichten. Die jüngeren Teilnehmer*innen sahen vorwiegend als wichtig an, was sie bisher geschafft hatten. Andere, vorwiegend mittleren Alters, fragten sich, wieweit sie sich selbst definierten oder sich von anderen definieren ließen. Oder sie befanden sich auf der Suche nach etwas, das den normalen Rahmen sprenge, um sich dann entfalten zu können. Mit zunehmendem Alter mochten sich die Teilnehmer*innen nicht mehr festlegen lassen. Ihre Erfahrung zeigte, dass sich durch Veränderungen in ihrem Leben verschiedene Persönlichkeiten in einer Person ausgebildet hatten; andere machten sich dagegen völlig unabhängig von Persönlichkeitsaspekten und definierten sich über das reine Menschsein.

Nach dieser spannenden Runde gab Volker Papke-Oldenburg eine kurze Einführung, ausgehend von R.D. Prechts Buchtitel „Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?“ Er legte dar, dass wir Menschen Suchende seien, deren Ziele sich beständig veränderten, und dass jeder Mensch über verschiedene Ichs verfüge. Der Mensch bliebe immer derselbe, nur Erwartungen und Verhalten veränderten sich jeweils mit seinen Rollen. Er legte ebenfalls dar, dass das ‚Ich-sein‘ auch abhängig von der Prägung der jeweiligen Zeit und der Kultur sei, in der der Mensch lebe.

Unterschiedliche philosophische Ansätze wie Descartes’ Denken als Grundlage des Seins (Ich denke, also bin ich), Wittgensteins Bezug zwischen Sprache und Bewusstseinsbildung oder Marx’ dialektische Spannung zwischen abstraktem Individuum und Gesellschaft boten die Grundlage für eine angeregte Diskussion, ob sich das ‚Ich‘ überhaupt definieren lasse. Auch der spirituelle Ansatz, das ‚Ich‘ mit dem Ego des Mensch gleichsetzen zu lassen, welches sich über das Tun definiere, das wahre Selbst des Menschen jedoch als ‚ich-losen‘ Geistzustand im reinen Sein zu betrachten, zeigte die Vielfalt der Betrachtungsweisen auf.

Im 3. Teil des Workshops stand nun eine Schreibphase zu den Fragen „Wer bin ich? „ und „Wo will ich hin?“ Die anschließende Darbietung einer großen Anzahl an Ergebnissen zeigte eine beeindruckende Bandbreite unterschiedlicher Ansichten, Erfahrungen und stilistischer Ausdrucksmöglichkeiten, deren Reiz in der Heterogenität der Gruppe lag. Alle Texte waren stark autobiografisch sowie ausgesprochen offen und ehrlich. Sie reichten von konkreten Zukunftsvorstellungen hinsichtlich Familie und Beruf über Identitätssuche in einer einengenden oder verständnislosen Gesellschaft bis hin zur Rollenfindung in und zwischen den Kulturen, sowie zu einer Lebensrückschau mit einem versöhnlichen Annehmen des So-seins im letzten Drittel des Lebens. 

Mechthild Bock

Erkenne Dich selbst!

Wer bin ich und wer will ich sein?

Wer ein glückliches Leben führen möchte, muss wissen, wohin die Lebensreise gehen soll. Denn je genauer wir uns selbst kennen, desto besser gelingt es uns, den eigenen Weg und die eigene Berufung zu finden und so Zufriedenheit und Wohlbefinden zu erlangen und uns abzugrenzen von dem, was wir nicht sind oder nicht wollen. Wie viele „Ichs“ oder Identitäten haben wir als Mensch eigentlich? An diesem Nachmittag wollen wir spannende Nachforschungen anstellen und so uns selbst ein Stück weit näherkommen.

Wer bin ich?

von Doris Pütz

Ich, ein Leben, geworden, erzogen und sich selbst gestaltet, durch meine Gene, die meinen Intellekt, zum Teil mein Temperament bestimmten, durch meine Eltern, Geschwister und Freunde geformt, durch Erfahrungen des Lebens und der Interpretationen derselben verändert.

Ich wurde gestaltet und gestaltete mich selbst, als Individuum sicher einmalig und in vielem so gleich mit allen anderen Menschen dieser Welt.

Schaue ich zurück auf meine Leben, so gab es in Bezug auf die Entwicklung, meiner Individualität, Zeiten des Umbruches und Zeiten der vergleichsweisen Ruhe. Es gab Zeiten, die anstrengend waren und Ängste schürten: Schaffe ich es mich selbst zu leben und zu verwirklichen? Und oft waren es gerade diese Krisen- und Umbruchzeiten, die mich im Leben voranbrachten.

Als Kind, so wie sicher die meisten Kinder, nahm ich mein Leben an ohne zu hinterfragen. Natürlich prägten die Erfahrungen im Mutterleib und die in der frühen Kindheit meine Individualität in besonderer Weise, bestimmen mich stärker im Leben und sind zeitgleich schwerer zu verändern.

Ich war eher still, angepasst, unauffällig, um einen Teilbereich meiner Individualität einmal herauszugreifen.

Mit dem Ende der Jugendzeit trat der erste große Umbruch auf, Auszug von zu Hause, Studium, Beginn der Arbeit, Partnersuche. In dieser Zeit werden die Grundsteine für das Leben in den kommenden Jahren gelegt, vielleicht die Grundstein bis zum Lebensende.

Für mich war diese Lebensphase, deren Bedeutung mir sehr bewusst war, anstrengend und veränderte mich. Ich konnte nicht länger still und unauffällig sein. Die Arbeit in der Psychiatrie erweiterte meinen Denk- und Erlebnishorizont. Durch die Begegnungen mit Menschen, die oft am Rande unserer gesellschaftlichen Vorstellungen und Normen leben, lernte ich mich selber stärker zu reflektieren und zeitgleich meine Bedeutsamkeit einzugrenzen.

Dann kam die Zeit, als meine Kinder klein waren und heranwuchsen, eine Zeit die mich körperlich sehr forderte. Mitihnen lernte ich eine neue Form der emotionalen und körperlichen Verbundenheit kennen, eine tiefgreifende Erfahrung.

Der Neueinstieg in den Beruf in Leitungsfunktion forderte endgültig die Aufgabe der Stille und Zurückhaltung in mir.

Ein großer Umbruch und mit Ängsten erwartet war für mich der Beginn der Rentenzeit. Die Rolle im Beruf erlebte ich stets erfüllend. Jetzt musste ich mich neu entwerfen. Ich musste lernen zu akzeptieren, dass meine Kräfte intellektuell und körperlich nachlassen, Krankheiten auftreten, die Gedanken an den Tod in mein Leben aufzunehmen. Eine körperliche Beeinträchtigung lässt mich erst richtig spüren, wie gut es ist, wenn der Schmerz vergeht. Durch das Schreiten in dunklen Feldern des Lebens, wird die Helligkeit umso intensiver wahrgenommen.

Für mich immer noch erstaunlich, ich kann diese Lebensphase genießen. Eine Blume in Ruhe zu betrachten, ein Buch Satz für Satz auf mich wirken zu lassen, ein ruhiges Gespräch mit einem Nachbarn am Zaun, diese intensive  Wahrnehmung und ein Erleben entspannt und ohne Hektik empfinde ich als befreiend und bereichernd. Das jetzt oft vorhandene Bewusstsein der Endlichkeit meines Lebens weitet mein Ich und lässt mich dankbar darauf schauen, dass unser Lebengenauso aufgebaut ist, wie es ist, mit einem Anfang und einem Ende. Es scheint ihm ein tiefer Sinn innezuwohnen.

Wo will ich hin?

Ich möchte so lange wie möglich im Hier und Jetzt bleibenund bin dankbar, wenn meine Kräfte mir dies erlauben.

Die Zeit, in der ich durch Krankheit meine Stimme verlor und ein gutes Wort nicht mehr sagen konnte, war schmerzhaft für mich und dankbar bin ich, dass ich jetzt wieder stärker am sozialen Leben teilnehmen kann.

Ich hoffe, noch lange in Verbundenheit mit Familie und Freunden leben zu dürfen, mich einfühlen zu können in mein Gegenüber und meinen Dankbarkeit spüren zu lassen, wenn mir geholfen wird.

Mein Leben hat Sinn, wenn ich in Worten und Handlungen ein Lächeln im Antlitz meines Gegenübers erzeugen kann.

Und wenn der Tag des letzten Abschiedes kommt, wünsche ich mir, dass meine Nächsten traurig sein dürfen, aber ihr Leben freudvoll weiterführend das Positive, was ich vermitteln konnte, in ihnen weiterlebt und weitergegeben wird, an ihre Umgebung, an ihre Kinder.

Jeder Mensch  in seiner Individualität ist wichtig und gleich in dieser Form der Unsterblichkeit. Wir alle sind am Anfand des Lebens nur ein Bündel Mensch und nur durch die Liebe werden wir zu einem besonderen Individuum und wenn wir gehen müssen schließt sich der Kreis. Durch die Liebe, die wir geben in welcher Form auch immer, werden wir im obigen Sinne unsterblich.

Das Leben in dieser Einmaligkeit wie es uns gegeben wird, zu gestalten und anzunehmen, das ist mein Ziel.

Hi, Hallo!

von "Mariposa"

Mein Name ist ,,Mariposa" und ich bin 15 Jahre alt! Nicht nur das, sondern ich bin auch drogensüchtig! Okay nein, ich bin nicht drogensüchtig! Zumindest nicht per se drogensüchtig! Ich dachte aber, dass es cool sei, das zu sagen, darum hab' ich's gesagt.

Das ist aber nicht das Einzigste, denn ich will weit weg. Weit, weit weg von all dem Leid und Elend, dem ich als unsicherer Bisexueller in einer heteronormativen Gesellschaft ausgesetzt bin, einer Gesellschaft die sich trotz LGBTQ und Diversity an die Spielregeln halten will.

Ich weiß, was ihr euch denkt: What the fuck? Wer behauptet so etwas von sich und vor allem wenn es so überhaupt nicht stimmt! Ja, ihr habt Recht, warum würde man auch nur daran denken, meine Gedanken in Worte zu verwandeln? Für auch nur einen klitzekleinen Funken Aufmerksamkeit, der einem wenigstens für einige wenige Sekunden das Gefühl geben kann, es wert zu sein, gelebt zu haben? Nein, das wäre ja geradezu verwerflich!

Aber zurück zur Frage, wer ich bin und wer ich sein möchte. Ich habe keine Ahnung. Und ich weiß, dass mir diese Antwort in so manchem Kontext nicht gerade bamherzig in meine kalten, erstarrten Hände fällt, schließlich stehen wir an der Spitze der Nahrungskette und sind die letzte Generation, die Generation Z, die letzte Hoffnung, auf ein Happy-End im Kampf gegen den Klimawandel, ich aber kann nur eins sagen: Ich bin unglücklich. Das bin ich. Genauer gesagt, war ich das. Und zwar mein ganzes Leben lang.

Was anfangs vielleicht wie eine Art Witz mit fehlender Pointé klingen mag, ist aber keinen Lacher wert. Ein Lächeln kostet nichts, habe ich schon viele Menschen in meinem Leben sagen hören, aber nichts da.

Für einen Jungen, der aber süchtig ist, süchtig nach dem Unglück, ist ein Lächeln nichts weiter als ein kalter Entzug ohne Hoffnung und ohne jeglichen Sinn. Ein Freigang, der mich im warmen morgengrauen Sonnenlicht doch gefangen hält, denn wieso der Sonne entgegenstrahlen, wenn man dem Mond apathisch hinterherblicken kann und man sich selbst zusieht, wie alles um sich herum zunehmend dunkler wird.

Dieser Dunkelheit aber, möchte ich entgegenwirken. Schließlich reicht für ein Feuer lediglich ein Funke aus, warum nicht auch bei mir? Warum sollte es bei mir irgendwie anders sein? Wegen einer psychotischen Mutter? Wegen eines Vaters, den ich nie kennenlernen konnte und wegen dem Wort ,,Schwuchtel" das dich inzwischen in mein mentales Vokabular eingebrannt hat? Wohl kaum! Dahin möchte ich also, an die polnische Ostsee, mit keinem klarem beruflichen Ziel in Aussicht. Keine bestimmte Ambition, außer die Worte in Liebe zu verwandeln - die Poesie. Da also will ich hin. An einen Ort wie aus dem Bilderbuch, so warm und voller Lust. Einen Ort an dem mich keiner kennt und ich mich nicht fremd fühle, schließlich fühlt sich keiner an einem Strand fremd. Wieso auch? Wärme ist fließend, Energie ist fließend und so ist auch mein Weltbild fließend. Heute zum Besseren.

Gedicht ,,Rote Träume"

von "Mariposa"

Grüne Schuhe, blaue Jeans, rote Träume.

Wundere mich bis heute ob jemand jemals von mir geträumt hat.

Nackte Frauen, kleine Mädchen, Taschentücher voll weißem Gold, Gott jedoch sagte einst es fließe nur Milch und Honig im Himmel.

Sie lebt rote Träume, sie lebt weiße Rosen, sie fleht ihn an, bitte sei meine Droge. Sei mein Heroin, schieß' mich weg, sei mein Intravena und erfülle deinen Zweck.

Denn schließlich bist du Dealer und Dealer sind Diebe. Sie bieten dir Stoff an, Seide sei Liebe, doch anders als Textilie ist es mir inzwischen gleich, wenn sich dein Mund und dein Herz eine Lüge teilen.

Denn inzwischen höre ich nur noch mit einem halben Ohr deinen Worten zu, denn inzwischen male ich mir aus ein Seidenkleid mit weißen Schuhen.

Eine Freundin sagte einst Heroin mache Helden, doch stieß ich nie auf mein Kryptonit. Ich stieß auf ihn. Macht mich das zu einer Heldin?

Nein. Stattdessen lebe ich rote Träume. Stattdessen lebe ich weiße Rosen, rote Träume von duftenden Boten, den Überbringern ewiger Liebe.

Also mein Amor, sei mein Heroin, denn ich bin süchtig nach dir. Du machst mich glücklich. Glücklich süchtig.

N.N.


Aus dem Schatten ins Licht

08.04.2022

Am 08.04.2022 veranstaltete das Kulturzentrum BÜZ ihren Schreibworkshop unter der Leitung des pensionierten Lehrers für Philosophie und Theologie Volker Papke-Oldenburg.

Dieser Schreibworkshop war der erste von insgesamt acht Veranstaltungen des Jahres 2022 in denen philosophische Grundfragen mit aktuellem Bezug zur Gegenwart als Thema vorgestellt werden.

Ziele des Workshops sind zum einen die Fähigkeit zur Reflexion der eigenen Situation mit Hilfe alltagstauglicher Philosophie zu entwickeln und diese in Wort und Bild kreativ zum Ausdruck zu bringen. Zum anderen ist es die offene Begegnung von jungen Menschen, Senioren, Geflüchteten und im Integrationsprozess Stehenden zum interkulturellen Erfahrungsaustausch. Zur Inklusion von Hörbehinderten werden Übertragungsanlagen mit Kopfhörern eingesetzt

Das Thema des Tages war das “Höhlengleichnis” des griechischen Philosophen Plato. Das “Höhlengleichnis” will in Form des Gleichnisses eine Lehre vermitteln, nämlich den Weg von der Erfahrung der Unwissenheit hin zum Erkennen der Wirklichkeit. In der Vorstellung Platos muss sich der Mensch von den Schattenbildern, die er an der Wand der Höhle wahrnimmt, lösen und sich umdrehen, um zu erkennen, dass seine wahrgenommene Wirklichkeit nur die Schatten der Wirklichkeit darstellen und er aufgerufen ist, den Weg der Erkenntnis des Wirklichen zu gehen.

Die mit dem ausgewählten Thema verbundene Intention war die Frage: “Was glaubst oder meinst du denn?” mit der eigenen Wahrnehmung der sozialen Medien zu verbinden. Des weiteren wurde gefragt, ob es eine Möglichkeit gibt, die verbreiteten Fake News zu erkennen und ob es einen methodischen Ansatz dafür gibt, um wahre Behauptungen von Fake News zu unterscheiden.

Das “Höhlengleichnis” wurde vom Leiter Volker Papke-Oldenburg als Geschichte mit Bildern und einer Erzählerstimme auf der Leinwand präsentiert. Danach schrieben die zwölf Teilnehmer innerhalb von 20 Minuten ihre Erkenntnisse und Eindrücke zum Thema auf.

Anschließend erfolgte die Vorstellung des Geschriebenen. Darin teilten die Teilnehmer ihre Erkenntnisse und Eindrücke in Kurztexten mit und verbanden diese mit persönlichen Erfahrungen, z.B. der Flucht nach Deutschland und der Wahrnehmung der Umwelt im Alltag.

Im Rahmen der Diskussion erkannten die Teilnehmer, dass der Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Nachricht ein methodischer Weg sein kann, um Fake News zu überprüfen und diese als solche zu erkennen und damit deren Eigenart, die Geschichte zu verdrehen, um eine Wirkung zu erzeugen.

Die Diskussion war geprägt von einem wertschätzenden und konstruktiven Dialog zwischen Menschen unterschiedlichen Alters und kulturellem Hintergrund.

Für die weiteren sieben Veranstaltungen des Workshops sind alle Menschen eingeladen, die sich mit einer der zentralen Grundfragen wie: “Was ist der Mensch?”, “Was soll ich tun?”, “Was kann (soll) ich wissen?” oder “Was darf ich hoffen?” auseinandersetzen und sich durch ein Tagesthema zum Ausdruck der eigenen Vorstellungen inspirieren lassen möchten. Sie sind eingeladen, die Erfahrung zu machen, den eigenen Text oder das eigene Bild dann im Rahmen eines wertschätzenden Diskurses zu präsentieren, anderen zuzuhören und gemeinsam zu diskutieren.

Carsten Stallbörger

Zweifel im und am Höhlengleichnis von Platon

von Doris Pütz

Platon muss ein sehr kluger Mensch gewesen sein. Das Höhlengleichnis ist eine faszinierende Geschichte über die Erkenntnismöglichkeiten der Menschen.

Bleiben wir erstmal in der Höhle.

Ich stelle mir vor, ich fliege als Biene durch meinen Garten. Sehe ich die Welt so wie sie ist? Wie erlebe ich sie?

Als Biene sehe ich die Farbe rot als schwarz, aber dafür sehe ich ultraviolett. Also meine Welt ist eine völlig andere als die Menschenwelt.

Der Hund hat eine Riechwelt.

Aber wie ist nun die wirklich Welt?

Sie ist und bleibt nichts anderes, als wie wir sie mit unserer Begrenztheit erfassen können, mit unseren Sinnen, unserem Denken. Und auch unser Denken ist begrenzt, denn nicht losgelöst von unseren körperlichen Voraussetzungen  und wiederum den Sinnen.

Also letztendlich bleiben wir Höhlenmenschen.

Für Immer?

Zum Teil. Unser Höhlendasein öffnet sich zunehmend, Erkenntnis geht immer weiter.

Darüber könnten wir uns alle freuen. Aber das ist nur die eine Seite. Wissen kann bedrohlich sein. Wir alle suchen nach einem schlüssigen Weltbild. Die Zunahme des Wissens und die stets darin vorhandenen Diskrepanzen überfordern oft und sind schwer zu ertragen. Und das ist die Chance der Fake News. Sie schaffen ein einfaches Weltbild, egalisieren Diskrepanzen und sind bequem.

Was hilft dagegen?

Eine gute Bildung, lebenslanges Lernen, Ringen um Erkenntnis und Wahrheit und die zeitgleiche Bewusstheit unserer Grenzen sind die einzigen Möglichkeiten die wir haben einen Blick aus der Höhle zu werfen.

Und das betrifft nicht nur das sachliche Wissen. Es gilt in besonderer Weise unsere Mitmenschen zu verstehen und zu respektieren. Gefangen in unserer Erziehung, Kultur, in unseren Genen werden wir niemals in der Lage sein den anderen zu begreifen in seiner Totalität. Besonders beim Beurteilen und Verurteilen des anderen überschreiten wir unsere wirklichen Kompetenzen. Wir können nur versuchen sich dem Nächsten  empathisch zu nähern und müssen nicht Nachvollziehbares als unsere Grenze wahrnehmen und akzeptieren.

Das Bewusstsein unseres Höhlendaseins verbunden mit dem Streben nach dem Licht macht uns human, menschlich, lässt uns bescheiden werden offen und sozial aber gleichermaßen klug und vielleicht weise.

Platon muss ein sehr kluger Mensch gewesen sein.